Es ist einer dieser Hundstage. Gorgio und Elisabeth sitzen im Gastraum und schauen sehnsüchtig nach draußen. Sie schlürfen dabei heißen Kaffee und seufzen!

„Was ist los mit euch?“, fragt Philipp, ein Mitarbeiter der Bahnhofsmission, während er sich zu ihnen an den Tisch setzt. „Ich würde Elisabeth so gern Sizilien zeigen, meine Heimat“, sagt Gorgio. Sie kennen sich seit seinem ersten Tag in der Bahnhofsmission. Elisabeth und Gorgio sind ein Pärchen. Beide drogenabhängig, beide in Substitution (z.B. Methadonprogramm) bei der benachbarten Schwerpunktpraxis. „Gio, du weißt doch, Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl!“ Sie reicht ihm verliebt die Hand und er strahlt. Elisabeth hat also einen „guten“ Tag. Das ist nicht oft der Fall.

„Gio, hast du Philipp schon erzählt, dass wir heiraten werden?“ Sie strahlen sich verliebt an, während draußen Starkregen einsetzt. Eine leicht surreale, wenn für Philipp auch unvergessliche Szene: Da sitzen in „seiner“ Bahnhofsmission diese zwei Menschen, die er schon lange begleitet und viele Tiefen und viel zu wenig Höhen der beiden mitbekommen musste. An einem Ort, an dem man meistens ist, weil es einem nicht so gut geht, und die beiden schwören sich die Treue. Ein Hauch von spürbarer Liebe huschte durch die Bahnhofsmission.

Zum Zeitpunkt der standesamtlichen Hochzeit ging es Elisabeth gut, sie konnte mit Hilfe selbstständig stehen und gehen. „Wir wissen, dass du viel zu tun hast und du kannst ja nicht zu jedem deiner Gäste kommen, aber wenn du Lust hast, wir würden uns so freuen…“, hatte Elisabeth Philipp ein paar Tage vor der Vermählung zu dieser ins Rathaus eingeladen. „Du darfst auch Chucks tragen“, sagte sie Augen zwinkernd.

Am Tag der standesamtlichen Hochzeit steht Philipp mit roten Rosen, Chucks und Anzug im Zimmer der Standesbeamtin. Elisabeth und Gio sehen ihn, sie hat Tränen in den Augen. „Ich hab doch gesagt, dass er kommt“, sagt Gio strahlend zu ihr. Er muss auch kurz ein Tränchen verdrücken. Ihm wird nochmal klar, wie wichtig dieser für seine Arbeit eher außergewöhnliche „Außentermin“ für die beiden ist.

Gio und Elisabeth kratzen alles Geld zusammen, was sie haben und reisen nach Italien. Da geht es ihr schon schlechter. Sie bangen, ob die Reise stattfinden kann. Die Bahnhofsmission bekommt eine Karte aus Sizilien. Elisabeth wird herzlich im Schoß der Familie aufgenommen. Die beiden dürfen noch etwas glücklich sein.

Einige Monate später. Ein Kontaktmann ruft Philipp an. Elisabeth ist nicht mehr aufgewacht.

Philipp und seine Kollegin Sarah stehen vor einer schweren Entscheidung. Das hatte es so noch nicht gegeben: Eine Beisetzung für einen Gast organisieren und begleiten. Kann und darf die Bahnhofsmission das? Wer tut es, wenn die Bahnhofsmission es nicht tun?

Sie taten es. #bedingungsloswillkommen bis zum Schluss 🫶

Es war am Ende die richtige Entscheidung. Bitter und doch „süß“ zugleich, denn sie hatten das Gefühl gemeinsam etwas „abgeschlossen“ zu haben.

Der Tod von Gästen ist für Mitarbeitende der Bahnhofsmission immer eine schlimme Erfahrung. Und doch mussten sie viele Menschen ziehen lassen in all den Jahren. Der Tod gehört zu diesem Leben dazu.

Gio ist nach vielen Jahren wieder in einer festen Beziehung, hat einen Job und ist clean. Sagt man. Ob es stimmt, weiß man nicht, aber es spricht vieles dafür: Er kommt nicht mehr in die Bahnhofsmission und lässt durch Bekannte alle paar Wochen grüßen.🥰

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