Es ist schon fast dunkel draußen und ein herbstliches Lüftchen zieht durch den Hof vor der Bahnhofsmission. Die meisten Gäste sind schon weg oder auf dem Weg “nach Hause“.

Plötzlich geht die Tür auf und ein Windzug rauscht kurz durch den Gastraum. Eine leuchtende Gestalt betritt unseren Raum. Es ist etwas surreal. Eigentlich fehlt nur der Nebel und das Ganze wäre eine filmreife Science-Fiction-Szene: ein Außerirdisches Wesen betritt die Bahnhofsmission.

Spoiler: Ganz so spooky wird es nicht.

Der sehr große Mensch, bekleidet mit Outdoorhose, -Jacke und -Schuhen und einer hell leuchtenden Stirnlampe auf dem Kopf kommt recht schnell auf den Punkt. „Ich müsste mal eure Dusche und Toilette benutzen“, sagt er freundlich. Wir müssen ihm leider erklären, dass wir keine Toilette für Gäste haben. Erst recht keine Dusche.

„Was sie sehen, ist schon die ganze Bahnhofsmission“, erklärt die ehrenamtliche Mitarbeiterin geduldig. Diese Erklärung müssen wir im Alltag immer wieder liefern: Zu unserm eigenen Bedauern können wir keine eigene Toilette anbieten und die WC-Anlage im Bahnhof ist kostenpflichtig.

Was wir ihm noch sagen, deuten wir hier nur an. Wir kannten damals eine Möglichkeit, „inoffiziell“ kostenfrei eine Toilette zu nutzen. Heute gibt es diese Option nicht mehr.

„Passen Sie so lange auf mein Rad auf?“, fragt er trippelnd. Eigentlich tun wir das nicht, aber sein Drang ist so groß, dass er direkt losläuft…

Sein Fahrrad steht voll bepackt vor der Bahnhofsmission. Er scheint alles, was er besitzt, hier auf diesem Fahrrad verstaut zu haben.

Als Felix, so stellt er sich vor, von der Toilette zurück ist, kommen wir ins Gespräch und er erzählt aus seinem Leben.

Er wurde durch eine persönliche Lebenskrise vor einigen Jahren obdachlos. Er war damals in einem Ort, dessen Namen er uns nicht verraten will, ein hochangesehener Mann. Vorzeige-Paar. Er Versicherungsmakler. Sie in der freien Wirtschaft. Penthouse. Dann ist etwas passiert. Es hat sein Leben komplett auf den Kopf gestellt.

„Am Ende hatte ich nichts mehr außer mein Fahrrad und meine Outdoor-Ausrüstung! Die Frau war weg, das Penthouse zwangsversteigert. Ich musste den Finger heben und mich für pleite erklären. Gescheitert. Meine Agentur hatte mir die Lizenz entzogen.“

Felix setzte sich auf sein teures Fahrrad, nahm seine hochwertige Outdoor-Ausrüstung und fuhr los. Am Anfang leistete er sich noch Campingplätze, später campte er öfter wild.

Er ließ alles hinter sich. „Wohl für immer! Ich liebe dieses Leben! Frei wie ein Vagabund!“ Er macht tatsächlich einen recht zufriedenen Eindruck, wenn er das sagt.

Mittlerweile schläft Felix mehr auf Wiesen von Landwirten. Es gibt sehr nette. Die lassen ihn dort zelten. Er bekommt Wasser, kann ein Dixiklo benutzen und er wird öfter von netten Dorfbewohner:innen zum Essen eingeladen. Den Landwirten hilft er im Stall oder bei der Ernte. Er bekommt dafür auch Essen oder landwirtschaftliche Produkte wie frische Hühnereier.

Heute ist er nach Freiburg gekommen, weil er am nächsten Tag zum Arzt muss. Er ist jetzt Mitte 50, sein linkes Knie will nicht so recht. Er hat einen Termin bei einem Spezialisten in der Uniklinik. Er ist krankenversichert und bekommt den Regelsatz Grundsicherung. Das Geld wird ihm tageweise in den Kommunen ausgezahlt.

„Mit meiner Welt von früher hat das nichts mehr zu tun. Ich bin jetzt arm, aber glücklich.“

Mit unserem „Wo? Was?“-Flyer geben wir ihm Tipps, wo er in Freiburg duschen und trocken & warm schlafen kann. In einem richtigen Bett.

Zum Abschied meint er: „Voll lieb von euch. Die Infos. Die Toilette. Der leckere Tee und das Schmalzbrot. Ihr macht einen guten Job! Ich war schon in einigen Bahnhofsmissionen in Deutschland. Ihr seid ein tolles ‚Völkchen‘!“

Er steigt auf sein Fahrrad und fährt davon. Durch den leichten Nebel verschwindet er zügig im dunklen Nichts.

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Als Bahnhofsmission möchten wir für Menschen in Not da sein. Hinter jedem Gesicht steckt eine Geschichte. Oft auch ein wirkliches Schicksal. Unser Einsatz lebt zum größten Teil von Ehrenamt und Spenden. Deshalb laden wir Sie ein: Helfen Sie uns mit einer SPENDE zu Weihnachten! Gemeinsam schenken wir Menschen in Not Hoffnung, ein offenes Ohr und eine helfende Hand.